Hallo, kleine Wanze! Hörst Du auch mit?

Kommentar...

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Digitale Assistenten in Form intelligenter Lautsprecher und anderer Gadgets erobern unsere Wohnzimmer - und sind in der Lage, jedes Gespräch rund um die Uhr aufzuzeichnen und in die Cloud zu senden. An wen auch immer...
Digitale Assistenten in Form intelligenter Lautsprecher und anderer Gadgets erobern unsere Wohnzimmer - und sind in der Lage, jedes Gespräch rund um die Uhr aufzuzeichnen und in die Cloud zu senden. An wen auch immer...

[Ein Kommentar von Tobias Eichner, tobias@14all.eu]

„Schau‘ mal, was wir uns angeschafft haben. Interessiert Dich bestimmt…“, mit diesen Worten begrüßte mich ein guter Freund, bei dem ich vergangene Woche zum Essen eingeladen war.

Seine neueste Errungenschaft war natürlich etwas Technisches, keine Frage. Während die Herzen der Damenwelt bei den neuesten Modetrends höher schlägt, begeistern sich ihre männlichen Mitmenschen für Elektronik – möglichst mit Akku und blinkenden LEDs, mehr braucht man(n) nicht zum Glücklichsein.

Dieses Gadget aber hatte es in sich – ein „intelligenter Lautsprecher“, oder im Marketing-Deutsch „digitaler Assistent“ genannt, der angeblich jeden Wunsch seines Besitzers von dessen Lippen abliest…

Sei es die aktuelle Wettervorhersage, die Planung anstehender Termine, das Abspielen der Lieblings-Playlist für einen romantischen Abend und natürlich erst recht die komplette Bandbreite der Hausautomation – alles kann nun bequem vom Sofa per Zuruf aus erledigt werden.

Nix zu verbergen…

„Na toll,“ dachte ich mir, „früher musste man dafür noch heiraten oder teures Hauspersonal engagieren.“ Da allerdings die auf ewig Angetraute meines Freundes neben uns stand, hielt ich es für taktvoller, meinen zweiten Gedanken laut zu äußern: »Ade Datenschutz.«

Vermutlich wäre ein leicht sexistischer Spruch deutlich besser angekommen, denn der stolze Besitzer (von Lautsprecher und Ehegattin) konterte prompt mit auswendig gelerntem Werbesprech:

Da könne gar nichts in falsche Hände geraten, alles werde doch verschlüsselt und solange nicht das Codewort „Hallo Molli“ gerufen werde, sende der Lautsprecher gar nichts ins Netz. Außerdem sei das halt heute so, man müsse sich dem Zeitgeist anpassen und aufgeschlossen sein. Das Weib nickte zustimmend.

Wäre jetzt noch der für solche Datenschutz-Diskussionen typische Satz »Ich habe doch eh nix zu verbergen!« gefallen, ich hätte schreiend die Flucht ergriffen. So hörte ich mir eben die Lobeshymnen auf die neue Technik an und biss mir mehrfach auf die Zunge, um bloß nicht als paranoider Sonderling dazustehen.

Spracherkennung – gestern und heute

Nun, zugegeben. Von der dahinterstehenden Technologie sollte ich als ITler eigentlich begeistert sein. Spracherkennung, das war lange Zeit eher theoretische Forschung und funktionierte nur unter Laborbedingungen einigermaßen zuverlässig.

Erst Anfang der 1990er Jahre kamen für den Massenmarkt taugliche Spracherkennungssysteme in den Handel. Teuer, beschränkt auf einen begrenzten Wortschatz und mit der Notwendigkeit einer langen Trainingsphase waren sie nicht gerade für produktives Arbeiten prädestiniert. Eher eine Spielerei für kaufkräftige Nerds oder experimentierfreudige Manager.

Doch je leistungsfähiger PCs wurden, desto besser und ausgeklügelter auch die Software zur Spracherkennung. Inzwischen können sogar simple Smartphones mit halbwegs potenter Hardware fließend Diktate verarbeiten, ganz sprecherunabhängig und ohne aufwändige Einarbeitung.

Die Cloud – da, wo man die Daten klaut

Hier beginnt das für mich Unverständliche: Es wäre problemlos möglich, das gesprochene Wort lokal in Text umzusetzen, zu analysieren und dann die gewünschte Aktion einzuleiten. Warum um alles in der Welt braucht es dafür zwingend die Cloud?

Weshalb müssen meine privaten wie geschäftlichen Termine bei einem Anbieter im Netz liegen, statt bei mir auf dem eigenen Rechner? Warum muss der Befehl zum Absenken der Jalousie über die USA wieder zurück zu meinem Fenster wandern? Und was bitteschön ist so cool daran, einer schwarzen Kiste „Hallo Rita, bestell‘ bitte eine Packung Kondome!“ zuzurufen?

Ganz klar: Es geht um’s Geld. Daten sind der Rohstoff unserer Informationsgesellschaft und internationale IT-Konzerne wissen diese Quelle für sich auszubeuten.

Solange die Menschheit nicht willens ist, eine globale Regierung auf die Beine zu stellen (oder halbwegs multilaterale Abkommen zustande bringt), bleibt das Internet ein rechtsfreier Raum. Mit anderen Worten:

In der Cloud, also irgendwo in den großen Weiten des Internet, stehen die Daten aller Nutzer als frei verfügbares Beute Gut für jeden bereit, der sie gewinnbringend einzusetzen weiß.

Deshalb verzichten nur wenige technische Gadgets auf eine Cloud-Anbindung. Manche erfordern sie sogar zwangsweise und verweigern ohne den Dienst.

Als Beispiel von vielen sei hier der Bewässerungscomputer eines großen Gartengeräte-Produzenten angeführt. Ohne Account in der Cloud fließt kein Wasser und nicht nur die Petunien lassen dann ihre Köpfe hängen. Warum ausgerechnet eine Internet-Anbindung vonnöten ist, um das Ventil des Gartenschlauchs zu öffnen, kann eigentlich nur mit der Datengier des Herstellers erklärt werden.

Oder eine Überwachungskamera, die ich kürzlich bei einem Kunden einrichten durfte. Es war eine Herausforderung, das Ding dazu zu bewegen, seine Bilder auf ein im lokalen Netz befindliches Tablet zu senden, ohne Umweg über das Internet. Hingegen wäre für die Konfiguration des vom Hersteller angebotenen Web-Accounts samt weltweiter Abrufmöglichkeit nur wenig mehr als ein Mausklick erforderlich gewesen.

Gefährliche Sorglosigkeit

Aber zurück zum virtuellen Assistenten meines Bekannten. Es ist schon erstaunlich, welche paradoxen Züge Menschen an den Tag legen können:

Einerseits reagieren wir übertrieben sensibel, was den Schutz unserer Privatsphäre anbelangt. Wehe dem Unternehmen, das es wagt, auf seiner Website nutzungsbasierende Werbeinhalte auszuspielen – schon wird unter dem Vorwand der Wahrung eines „digitalen Grundrechts“ der Werbeblocker aktiviert.

Mein Freund hat gar zwei dieser Plugins parallel im Einsatz, die im übrigen selbst Nutzungsdaten an ihre jeweiligen Betreiber senden… tja, von irgendetwas müssen eben auch diese Entwickler leben.

Andererseits zögern wir keine Sekunde, für einen vermeintlichen Gewinn an Bequemlichkeit die virtuellen Hosen runterzulassen. Wenn’s sein muss, samt Unterhose.

Wirklicher Nutzen und Sinnhaftigkeit? Wen kümmert’s, solange es gerade im Trend liegt. Was mit den dabei übermittelten persönlich(st)en Daten passiert, scheint den meisten gleichgültig zu sein.

Viele vergessen aber, dass einmal ins Netz gelangte Daten dort für alle Zeit bleiben. Ein gestohlenes Auto lässt sich als physische Sache aufspüren und zurückbringen, hingegen ist das virtuelle Gut „Daten“ nicht materiell greifbar, dafür beliebig oft kopierbar.

Meine Daten sind mir mehr wert!

Bitte erzähle mir jetzt niemand, er habe nichts zu verbergen. Jeder trägt das ein oder andere Geheimnis mit sich – oder führte bislang ein furchtbar langweiliges Leben. So oder so, ich bestimme, wem ich meine Daten anvertraue. Immerhin schließe ich auch meine Wohnungstür ab und lasse nicht jeden herein.

Eines steht für mich fest: In mein Haus kommt garantiert keine dieser digitalen Wanzen. Dafür kenne ich mich mit IT viel zu gut aus, weiß wie einfach selbst komplexeste Sicherheitssysteme manipuliert werden können und wie wertvoll meine Daten wirklich sind.

Sollte ich also jemals den Wunsch verspüren, vom Sofa aus mein Leben managen zu wollen, dächte ich eher darüber nach, in den Hafen der Ehe einzulaufen eine (kompetente wie gutaussehende) Sekretärin anzuheuern. 😉


Autor: Tobias Eichner | Datum der Veröffentlichung: Januar 2019 | Letzte Aktualisierung: März 2023 (05/2021)
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